Zwölf Thesen zur Wertimagination (WIM)

Alle Imaginationen basieren auf der assoziativen, sprachlich-dialogischen Tätigkeit unseres Denkens. D.h.: Im Unbewussten findet ein ständiges Gespräch statt, kein abstraktes, sondern ein bildhaftes. Nähern wir uns den inneren Bildern, dann nehmen wir diesen Prozess wahr. Die Wahrnehmung und die Auseinandersetzung mit ihnen ist die Voraussetzung dafür, auf die Bilder so Einfluss zu nehmen, wie es weder im Traum noch im Gespräch auf der Bewusstseinsebene möglich ist. Denn wenn wir auf sie Einfluss nehmen, beeinflussen bzw. verändern wir die Gefühle und Gefühlskräfte, die durch die Bilder symbolisiert werden – die destruktiven ebenso wie die konstruktiven, die sinnverweigernden ebenso wie die sinnstiftenden.

  1. Wertimaginationen (WIM) sind bewusste „Wanderungen“ ins Unbewusste: vordergründig in dessen persönlichen Bereich (lebensgeschichtliche Bilder), hintergründig sowohl in den des ursprünglich Unbewussten (mythologische Bilder) als auch des „geistig Unbewussten“ (Wertgestalten, sinnstiftende Bilder). Dieser Bereich des Unbewussten ist das stärkste Erkenntnis- und Energiezentrum des Menschen. In diesem Zentrum „warten“ die Sinn begründenden spezifisch humanen Werte auf Realisierung.
    Unbewusster Geist – das ist unbewusste Freiheit, Verantwortlichkeit, Liebe, Hoffnung, unbewusster Mut, Intuition, Gewissen, das Ästhetische, das Künstlerische, unbewusstes Wertgefühl, unbewusster Sinn, unbewusste Spiritualität, etc.
    Unbewusster Geist meint das jedem Menschen potentiell zugängliche Wissen von den großen und kleinen Zusammenhängen des eigenen und des großen Lebens. Darüber hinaus stellt er das stärkste Energiezentrum dar, zu dem ein Mensch Zugang haben kann.
    Unbewusster Geist – das ist die schöpferische, gestaltende, sinnstiftende Kraft, von deren Wirksamkeit primär abhängt, in welcher Weise der ganze Mensch existiert. Und in dem Maße, in dem er Zugang zu ihm findet, findet er die ihm entsprechenden Werte, findet er sich selbst, findet er Sinn, findet er auch die Kraft, ihn auch zu leben. Er ist die entscheidende Dimension des Menschen. Er ist die schöpferische Kraft, die ihn befähigt, sein inneres und äußeres Leben innerhalb bestimmter Grenzen frei gestalten zu können.
    Geist ist dem Menschen sowohl bewusst als auch unbewusst, sowohl immanent als auch transzendent. Menschlicher Geist stellt keine für sich bestehende Wirklichkeit dar, er partizipiert vielmehr am transzendenten Geist. Daher ist eine grundsätzliche Trennung zwischen menschlichem und transzendentem Geist weder notwendig noch sinnvoll. Und daher ist dieser so verstandene Geist ein unverzichtbares Element sowohl der Wertorientieren Persönlichkeitsbildung als auch der Psychotherapie.
  2. Der Gegenpol zum sinnstiftenden Geist - er wird primär durch den Inneren Verbündeten oder den Geistvollen symbolisiert -, ist der Destruktionstrieb, der durch den Inneren Gegenspieler symbolisiert wird. Das Spannungsfeld zwischen Lebensbejahung und Lebensverneinung ist der „Ort“ wertimaginativer Arbeit.
  3. Wertimaginationen sind zielorientiert. Sie werden von einem Therapeuten/Mentor begleitet. Hat der Imaginand hinreichend Erfahrungen, sind selbständige und/oder Gruppenimaginationen möglich und erwünscht.
  4. Entscheidend sind nicht die vom Bewusstsein vorgestellten oder eingebildeten, sondern die vom unbewussten Geist ausgebildeten Bilder. Sie werden nicht gemacht, sondern erwartet. So wird eine manipulative Veränderung von vorgestellten, d.h. tendenziell bewusstseinsnahen Bildern vermieden.
    Aufgrund der Herausforderung, sich den ausgebildeten Bildern zu stellen, ist die Wertimagination für den Patienten/Klienten ein besonders günstiger Weg, sich relativ unabhängig vom Therapeuten/ Mentor entwickeln zu können. Seine Eigenständigkeit wird gefördert, so dass er Verantwortung für sich selbst übernehmen kann.
  5. Nicht die Aktionen, sondern die existenzielle Begegnung mit den inneren Bildern, nicht das Registrieren, sondern das Anschauen, nicht nur das Erkennen, sondern vor allem das Verstehen der Symbole steht im Vordergrund der wertimaginativen Arbeit.
    Die Erschließung der Symbolgehalte vollzieht sich nicht lexikalisch, sondern phänomenologisch, so nämlich, dass in der existenziellen Begegnung zwischen dem Imaginanden und den Symbolen diese sich selbst aussprechen.
  6. Zentrum der Wertimaginationen ist die Beziehung zu den unbewussten (männlichen und weiblichen) Gestalten, den Wertgestalten, die die Selbst- und Sinnverwirklichung fördern. Sie sind personifizierte Symbolisierungen spezifisch humaner Werte des unbewussten Geistes, damit zugleich personifizierte Aspekte der Möglichkeit von Identitätsbildung. Ihnen wird in aller Regel von Beginn an die Führung überlassen. Erscheinen die Widerstände auf dem Weg zur Selbst- und Sinnerfahrung zu stark, werden sie zuerst – stets unter Begleitung einer entsprechenden Wertgestalt - imaginativ bearbeitet.
    Die Begegnung mit den Wertgestalten, die plastisch und unmittelbar „gesehen“ werden, bewirkt eine höchstmögliche kognitive, emotionale und energetische Annäherung an den Wert, den sie symbolisieren.
  7. Wertimaginationen sind identitätsstiftend. Der Imaginand vertieft seine Selbster-fahrung und handelt daher in der konkreten Beziehungswelt selbstbewusster, entschiedener, klarer, gemeinschaftsfähiger. Darüber hinaus wird seine Wahrnehmungsfähigkeit gestärkt.
  8. Wertimaginationen sind sinnstiftend. Sie evozieren Freiheit und Verantwortlichkeit (den Bedingungen für Sinnfindung) und ermöglichen Entscheidungskompetenz. Angesichts des steigenden „Werte“-Pluralismus und schwindender verbindlicher Muster für sinnvolle Lebensführung bieten Wertimaginationen wertvolle Orientierungshilfen.
  9. Wertimaginationen sind kreativitätsfördernd. Die Imaginationsfähtigkeit des Menschen impliziert seine Fähigkeit, kreativ sein zu können. Im Verlauf imaginativer Prozesse entfaltet sich seine Phantasietätigkeit und damit die Fähigkeit, Problemlösungen zu finden.
  10. Nicht die Störfelder und Defizite stehen im Vordergrund wertimaginativer Arbeit, sondern die Entbindung spezifisch humaner Werte wie z.B. die Liebe, die Freiheit, die Verantwortung, die Hoffnung, der Mut. M.a.W.: Nicht die Problem-, sondern die Wertorientierung ist charakteristisch für die Wertorientierte Persönlichkeitsbildung und die Wertimaginative Logotherapie
  11. Wertimaginationen sind heilsam. Die geistig-emotionale Erfahrung der energetisch starken Wertgestalten, ihre Führung und Begleitung zu den Widerständen und den verabredeten energiegeladenen Zielen führt zur körperlich-seelisch-geistigen Neuorientierung.
  12. Transferimaginationen, d.h. Wertimaginationen, die den Klienten in konkrete Alltagssituationen führen, sind eine hilfreiche Brücke zwischen der inneren Wirklichkeit und der äußeren Realität.

Zur Frage der Wissenschaftlichkeit:

»Es ist eine Erfahrung, die die Menschheit nun seit einigen Jahrtausenden machen konnte: dass die sicheren, lehrbaren Wahrheiten die unwichtigen sind, dass aber, je wichtiger eine Wahrheit ist, sie desto weniger beweisbar sein wird. Das aber hängt unter anderem damit zusammen, dass ein Mensch von allem immer nur so viel sehen wird, wie er dem, was er sieht, entgegenbringt an Bereitschaft, sich von ihm verändern zu lassen.« (Jörg Zink).